Essay Strindberg

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Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Institut für Nordische Philologie/ Skandinavistik
Proseminar: Kulturwissenschaften (Sommersemester 2016)
Dozent: Christian Krosing, M.A.

Die Frauenfrage aus der Sicht eines
bekannten Misogyn: August Strindberg
Eine Untersuchung am Beispiel von
„Fröken Julie. Ett naturalistiskt sorgespel av August Strindberg
med ett förord av författaren“

Madalina Stefania Preda
York-Ring 12
48159 Münster
Tel. 0172 1332884
E-Mail: madalina.stefania@gmail.com
Studiengang: Skandinavistik & Sinologie
Semester: 2 & 2
Matrikelnummer: 414 044


1. Einleitung und Fragestellung

Im Modernen Durchbruch veränderte sich die Rolle der Frau und dadurch auch Themen
wie Sexualmoral, mehr Rechte für Frauen und Emanzipation Aufmerksamkeit wecken. Ein
bekannter Gegner dieser Bewegung war August Strindberg, der mit seinen Werken klar
gegen die „neue Frau“ eintritt. In diesem Kontext behandelt sein Drama „Fröken Julie“ die
Frauenfrage, allerdings mit einer Spur seiner persönlichen Subjektivität.
Ist das Schicksal von Julie ein Symbol für die damalige Situation der Frau? In welchem
Maße ist dies “nur“ das eigene Bild auf Frauen des Autors? Genügt das Vorwort des
Dramas um seine Reputation als misogyn, um „Fröken Julie“ als Manifest gegen
Feminismus einzuordnen?
Im Folgenden wird die Protagonistin, anhand der Rollenvorstellung der Frau in der
skandinavischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, beschrieben und wie Faktoren wie
Genre, Stand und historische Umstände zu ihrem tragischem Ende geführt haben könnten.
Zuletzt wird die Biographie Strindbergs anhand der Kritiken untersucht, um einen
Zusammenhang zur Frauenfrage herzustellen.

2. Julie: Die moderne Frau oder die Tragödie einer modernen Frau?

Die Epoche zwischen 1870 und 1970 bringt neben Modernisierung und Fortschritt auch ein
Entfremdungsgefühl bei den Menschen mit sich. Dabei gilt das Augenmerk dem
Individuum und seinen Identitätskrisen, der Erkundung der Psyche und dem Unsichtbaren.
Die revolutionäre Forschung Charles Darwins, der versuchte die Entwicklungsfähigkeit
des Menschen darzulegen, die neue Theorie des Determinismus von Hippoltyte Adolphe
Taine, nach dessen Ansichten, der Mensch und sein Schicksals von drei Koordinaten:
"race, milieu, moment" geprägt werden und die von dem französischen Schriftsteller,
Emile Zola stammende Strömung des Naturalismus, nach welcher die Wirklichkeit
abgebildet und der Mensch in seiner Umwelt geschildert wird, bringt den literarischen
Werken eine vollends neue Wendung entgegen.
1
Das im Jahre 1888 entstandene Drama „Fröken Julie“ verursacht in einem Akt eine
Debatte um die Sexualängste der Gesellschaft,sowie den Geschlechter- und Klassenkampf.
Die Handlung basiert auf einem unverfänglichen Flirt, der einen Kampf zwischen Mann
und Frau, zwischen der hochgeborenen Grafentochter und ihrem Diener auslöst. Bevor die
Protagonistin, Julie vom Standpunkt der zeitgenössischen Frauenbewegung analysiert
wird, ist es von Interesse, die vorgegebene Interpretation des Stücks in der Einleitung, nach
der das Stück „the requirements of Zola's naturalism“ entpricht, im Auge zu behalten.
2

2.1 Geschlechterverhältnisse und soziale Hierarchie

Da die damaligen Regeln erlaubten einer Frau nicht ihre Sexualität frei zu gestalten, oder
überhaupt ein eigenes sexuelles Verlangen zu haben, begibt Julie,durch dem Beischlaf mit
dem Diener, einen eindeutigen Fehler. Der bürgerlichen Einstellung zufolge sollten die
„Frauen zielgerichtetes sexuelles Begehren nur im Zusammenhang mit romantischen
Sehnsüchten kennen“
3
. Abwege von den Konventionen einer patriarchalischen
Gesellschaft wurden sanktioniert. Das Fräulein verletzt dieses ungeschriebene Gebot.
1
In Anlehnung an: Heitmann, Annegret. „Die Moderne im Durchbruch"(1870-1910). In Skandinavische
Literaturgeschichte. Hrsg. v. Jürg Glauser. Stuttgart 2006: J.B Metzler Weimer, S. 183 - 229
2
Sprinchorn, Evert. Strindberg as dramatist. New Heaven, London, 1982: Yale University Press. S. 23
3
Kauer, Katja. Banaler und dämonischer Sex in der Literatur um 1900 und um 2000. Hamburg, 2007: Dr.
Kovac .S. 479
1

Solange sie sich ihm nicht hingibt und „völlig asexuell bleibt und sein Begehren durch
Unberührbarkeit schürt“
4
, ist Jean, als Bediensteter, folgsam, ehrt und respektiert sie. Das
Geschlechterverhältnis erfährt eine radikale Wende mit dem vollzogenen Beischlaf. Da von
Liebe oder Heirat keine Rede ist, wird die Grafentochter zum Sexualobjekt, verliert ihre
Überlegenheit und bringt Schande über ihre Familie und Klasse. Julie wird zum Opfer
ihres eigenen erotischen Spiels und dem höher gestellten Geschlecht, dem Mann. Sie ist in
der Folge auf Jeans Hilfe angewiesen und sucht Sicherheit und Geborgenheit: „Säg att du
älskar mig, eljes – ja, vad är jag eljes?“.
5
Ihre Identität basiert ausschließlich auf ihrem
Verhältnis zum Mann, dem seit Generationen eine höhere Bedeutung zugemessen wird.
Die Situation ist typisch für die damalige Frau – Mann Beziehung.
6
Der psychologischen Agonie will sie damit ein Ende setzen, indem sie die Macht Jean
übergibt: „Befall mig! Sätt mig i rörelse, for jag kan inte tänka mer, inte handla mer...!“
(S. 347)

2.2 Klassenkampf und Naturalismus

Julie verletzt von Anfang an die Gebote ihrer Klasse, indem sie männliche Mitglieder der
Dienerschaft zum Tanz auffordert:„[...][fröken] anföra dansen med skogvaktarn[...]“.
(S.313). Dieses Geschehen allein ist als Tabu der damaligen Gesellschaft anzusehen und
genügt, so dass Jean aus ihrem Verhalten folgern kann: „I kväll är fröken Julie galen igen;
komplett galen!“ (S. 313)
Als naturalistische Figur, wird ihr “[v]erhalten durch die falsche Erziehung von einer
männerverachtenden Mutter und biologisch durch die genetische Degeneriertheit Julies
erklärt“
7
. Ihre Vorstellung von der Rolle des Mannes entspringt der ihrer Mutter: „Av
henne hade jag lärt hat mot mannen - ty hon hatade manfolk efter vad ni hört - och jag svor
henne, att aldrig bli en mans slavinna.“ (S. 343)
Nach den Vorschriften der patriarchalischen Gesellschaft galt ihre irreversible Tat als
undenkbar. Sie überschreitet die Grenze ihres Standes. Dadurch begibt sich Julie in
Schande.

Übertragen, kann der Kampf der Klassen und Geschlechter durch eine gewichtige Idee des
Naturalismus, die von Charles Darwin in 1859 in „The Origin of species“ proponierte
Theorie erklärt werden. Aus der Sicht der Evolutionslehre kämpfen die Tiere in der Wildnis
um ihr Überleben und nur der Stärkere wird fortdauernd sein und in Zukunft bestehen. So
streben die Menschen eine höhere Position in der Gesellschaft an und nur die, die sich
ihrem Umfeld angepasst haben, werden als Individuen gedeihen und bestehen.
Auf das Drama angewendet, Jean ist derjenige, der auf einen sozialen Aufstieg hofft und
Julie erscheint als das einzige Mittel, welches ihm dazu verhelfen kann. Während die
Grafentochter danach verlangt aus ihrem Rang hinabzusteigen: „Jag längtar att få falla;“
(S. 323), ist Jeans Traum dem Julies entgegen gerichtet: „Jag vill opp, opp i toppen[...]“
(S.324). Gemäß ihrer sozialen Stellung ist Julie überlegen, dennoch spielt Jean die
dominante Rolle, da er der Mann ist. Anhand der darwinistischen Theorie wird er als
starkes lebensfähiges Wesen eingeordnet, während Julie als schwaches, minderwertiges
Geschlecht dargestellt wird. Sie geht unter und Jean wird überleben, auf dem gleichen
4
Kauer (2007), S. 482
5
Die im Text nicht anders gekennzeichneten Zitate und ihre jeweiligen Seitenangaben beziehen sich auf
die folgende Ausgabe: Strindberg, August. „Fröken Julie. Ett naturalistik sorgespel av August Strindberg
med ett förord av författaren“. In August Strindbergs Dramer, Bd.3, Hrsg. v. Carl Reinhold Smedmark.
Stockholm 1964: Bonniers, S. 299 – 362. Hier S. 334
6
Heitmann (2006), S. 203 - 206
7
Kauer (2007) S. 476
2

Prinzip wie in der Natur: „rovfågeln äter duvan och lusen äter rovfågeln, [...]“ (S. 300).
Katja Kauer warnt die adlige Frau vor ihrer unvorteilhaften Stellung im
Geschlechterkampf: „'Männlichkeit' verfügt gegenüber der 'Weiblichkeit' über einen
höheren (psycho-)sozialen Rang, so dass eine Frau unter keinen Umständen dem ohnehin
geringeren gesellschaftlichen Wert, den sie in der bürgerlichen Geschlechterhierarchie
allein aufgrund ihrer Schamhaftigkeit besitzt, aufs Spiel setzen darf“
8
Nachdem sie sich auf ihn einlässt, verliert sie demzufolge ihren Rang: „Ein Kastenmensch
war sie nicht mehr, ein Massenmensch war sie noch nicht“
9
. Der Kampf zwischen den
beiden Figuren wird im Verlauf destruktiver, keinem der beiden Akteure gelingt es, sich
aus der Ihr/Ihm gesellschaftlichen und von den Gesetzen der patriarchisch festgelegten
Rolle zu befreien und Julie muss alleine für ihre Sünde büßen. Da ihr eine Methode und
die Freiheit, ihre Wünsche auszudrücken, fehlen, geht sie selbstzerstörerische Wege.
Ob der Verstoß gegen ihre zugeteilte Rolle als Frau und Hochgeborene ihren Selbstmord
rechtfertigt oder den Frauenhass ausdrückt, wird im weiteren Verlauf des Textes
untersucht.


3. August Strindberg und Frauen. Biografische Hintergründe

Johan August Strindberg hat stets Debatten und Kontroversen unter seinen Zeitgenossen
hervorgerufen. Während viele ihn für seine bahnbrechenden Werke bewunderten, nahmen
ihn andere für sein hitziges Verhalten und vornehmlich für seinen Hass auf Frauen wahr.
10
Strindbergs Beziehung zu Frauen, lässt sich auf seine Kindheit zurückführen. Als Sohn
einer Magd, das vierte von elf Kinder, wuchs er mit einem starken
Minderwertigkeitsgefühl auf. Walter A. Berendsohn geht von einer gestörten
Mutterverbindung aus und beschreibt „wie schwer es ihm[Strindberg] [fiel], sich vom
mütterlichen Stamm loszulösen und ein selbstständiges Gewächs zu werden“
11
und
dementiert gleichzeitig seinen Ruf als Frauenhasser: „August Strindberg ist durchaus kein
Weiberhasser“
12
, allerdings war er gegen die Emanzipation der Frau, aber begehrte die
traditionelle, gutmütige, mütterliche Frau, die sich dem Mann und Haushalt widmet”.
13
Paradoxerweise wählte der Künstler privat ausschließlich selbstständige, anspruchsvolle
und emanzipierte Frauen, so heiratete er dreimal, zwei Schauspielerinnen und eine
Journalistin. Alle wurden von ihm zugleich vergöttert und verhasst, wie Berendsohn
ausführlich berichtet.
Die emotionelle Instabilität des Autors prägten wesentlich seine Werke: „[his]plays
[...]presented a world violently distorted by the intensity of his moods, ideas and
emotions“
14
. Dieser Aspekt wird auch von vielen anderen zeitgenössischen und modernen
Kritikern, wie Heller, Sprinchorn oder Henderson behandelt und dabei auch auf seine
Depressionen, Manien, und Überspanntheit hingewiesen, die ihm stets in der Gesellschaft,
bei den Herausgeber und insbesondere in seinen drei Ehen Komplikationen bereitet haben.
Die Handlung in „Fröken Julie“ könnte von der komplizierten Beziehung mit der
hochgeborenen Baronesse, Siri von Essen, seiner ersten Frau inspiriert worden sein.
8
Kauer (2007), S. 480
9
Kerr, Alfred.
»
Ich sage, was zu sagen ist
«
. Theaterkritiken 1893 – 1919. In Alfred Kerr. Werke in
Einzelbänder, Bd VII.1.Hrsg. v. Günther Rühle. Frankfurt am Main 1998: S. Fischer. S. 193
10
In Anlehnung an: Gaskell, Philip. Landmarks in European Literature. Edinburgh 1999: Edinburgh
University Press. S. 152
11
Berendsohn, Walter A. August Strindberg Der Mensch und seine Umwelt – Das Werk – Der schöpferische
Künstler. Bd. 4. Hsrg. v. Cola Minis. Amsterdam 1974: Rodopi N.V. S. 23
12
Ebd. S. 25
13
Ebd. S. 28
14
Gaskell (1999), S. 152
3

Strindbergs Eifersucht, starke Minderwertigkeitskomplexe und seine Boshaftigkeit
gegenüber der modernen Frauen, trugen zur Auflösung der Ehe in 1891 bei.
15
Diese Lebensumstände und die Tatsache, dass Strindberg seinem Vater nie verziehen hat,
dass er unter seinem Stand geheiratet hat
16
, erklären sein Missbehagen angesichts einer
Überschreitung der Klassengrenzen, wogegen er sich so stark im Vorwort von „Fröken
Julie“ einsetzt.

3.1 Das Vorwort. Affront gegen die Frauen oder überzogenes
naturalistisches Manifest?

Hat Strindberg mit „Fröken Julie“ ein Plädoyer für die Einordnung seines Dramas in den
Naturalismus abgegeben? Im Folgenden werden die frauenfeindlichen Aussagen des
Dramatikers untersucht, um daraus einen möglichen Zusammenhang zum Suizid Julies am
Ende des Stücks herzustellen.

3.2 Der Frauenhasser

Während der Inhalt des Werkes viel Mitgefühl erregt, wird die Protagonistin im Vorwort
durch Strindberg negativ dargestellt. Strindberg schreibt:

„Halvkvinnan är en typ som tränger sig fram, säljer sig numera mot makt, ordnar,
utmärkelser, diplom, såsom, förut mot pengar, och antyder urartning […]. Typen är tragisk,
erbjudande skådespelet av en förtvivlad kamp mot naturen, […] vilken endast vill lycka; och lycka
hör starka och goda arter.“ (S. 303)
Ausdrucksweisen wie „Halbweib“, „unfähig glücklich zu sein“, „abartiges Lebewesen“
beschildern kaum Julie, und keineswegs die Moderne Frau, die Unabhängigkeit vom Mann
und Selbstständigkeit beansprucht. In dem Sinne ist es wenig überzeugend, dass die
Grafentochter aus einem dieser Gründe Selbstmord begeht.
Der Kritiker Archibald Henderson deutet sogar auf eine Überschneidung des Autors hin,
dem schwierigen Verhältnis zu Frauen und dessen Reputation als Misogyn:
„Strindberg's attacks upon women, so-called, are repellant and repulsive in an abnormal
degree. It is no matter for surprise that he has been classified as the arch misogynist, the
most radical woman-hater in the post-schopenhauer era“.
17
Henderson betont, dass
Strindbergs Emphase auf den Konflikt zwischen Klassen oberflächlich sei, und sich des
Autors eigene subjektive Psychologie in dem Stück widerspiegelt. Die aufbrausenden
Ereignisse in „Fröken Julie“ bilden die Einwirkung seiner Lebenserfahrungen ab: „the life
of August Strindberg is so predominantly chaotic,[...]his personality rich, his temperament
so volcanic, that it seems to defy analysis, or even adequate comprehension“
18
.
In dieser Beschreibung Strindbergs ist Julie wieder zu erkennen, deren Ambivalenz und
turbulente Persönlichkeit eine getreue Reflexion des Autors verkörpert. Sprinchorn sah
seine wechselhafte Gemütslage als Teils seines Genies an, mit der Strindberg seine innere
Welt in Worte transkribiert hat: „Certain it is that Strindberg wrote best when he identified
himself with a role“
19
Diese Thematik greift auch ein anderer Kritiker, Otto Heller in auf. Laut Heller gibt es
keine Unterschiede zwischen Strindberg und seinen Figuren, die „merely the outward
15
In Anlehnung an: Berendsohn (1974), S. 26 - 27
16
Vgl. Sprinchorn (1982), S. 81
17
Henderson, Archibald. European Dramatists. 2. Aufl. Cincinnati 1914: Stewart & Kidd Company. S. 49
18
Henderson (1914), S. 54
19
Sprinchorn (1982). S. 14
4

projections of his own sentiments and ideas“
20
und bestätigt, dass seine Werke gehässige
Angriffe auf die Frauen beinhalten. Seine angespannten Lebensverhältnisse, drei
unglückliche Ehen, und unter dem Einfluss von Nietzsches „aggresive campaign for the
moral and intellectual sanitation of the world“
21
seien zu Grunde liegende Fakten für seine
Propaganda gegen die Frauenbewegung.
Relevante Ereignisse im Leben des Autors und rund um die Veröffentlichung des Buches
sind auch der Selbstmord Victoria Benedictssons, eine zeitgenössische Autorin, und die
Neigung Strindbergs zum Suizid.
Am 03.06.1888 schreibt Strindberg an Verner von Heidenstam: „Eget- för att begå
sjelfmordet jag planerar, måste jag ha kraft. När jag är trott önskar jag dö, men har ej
styrka(mod) att utföra det[...]“.
22
Weil er es nicht konnte, ist Julie diejenige, die sich an
seiner Stelle das Leben nimmt.
Zudem erleidet seine Freundin, Victoria Benedictsson nach heftiger Selbstverstümmelung
den Tod
23
. Als Reaktion darauf und übertragen auf das tragische Ende Julies äußerte er
sich: „Detta att hjältinnan väckr medlidande beror endast på svaghet att icke kunna motstå
känslan av fruktan för att samma öde skulle kunna övergå oss“ (S. 300). Durch diese
Beispiele, wurde verdeutlicht, dass Selbstmord ihm nicht fremd war, als der Dramatiker
„Froken Julie” schrieb.
24


3.3 Das Vorwort: Beitrag zur Debatte

Anhand der geschichtlichen Tatsachen, affirmieren Törnqvist und Jacobs, dass das Vorwort
ungefähr zehn Tage nach der Veröffentlichung des Stückes geschrieben wurde, es gäbe
nicht die direkte Handlung des Dramas wieder. Vielmehr sei die Einleitung eine
Umformulierung der Absichten Strindbergs.
Am 10.08.1888 schickt er das Manuskript an den Herausgeber, Karl Otto Bonier, den
Strindberg für einen gleichgesinnten „qvinnohatare“
25
, um für das erste naturalistische
Drama zu werben: „Härmed tar jag mig friheten hembjuda Svenska Dramatikens första
Naturalistika Sorgespel“
26
Mehrere Briefe an verschiedenen Verleger folgen, indem Strindberg weitere Argumente
vorbringt und für Darwinismus und Naturalismus plädiert.
27
Deshalb ist es schwer daraus zu schließen, ob Strindberg tatsächlich das Stück als Angriff
gegen Frauen sieht, oder ob er nun versucht, die Verleger von seinem Stück zu
überzeugen
28
.
Obgleich die Aussage Strindbergs als frauenfeindlich verstanden werden kann, stellen
Törnqvist und Jacobs abschließend fest, dass das Plädoyer für die neue naturalistische
20
Heller, Otto. Prophets of Dissent: Essays on Maeterlinck, Strindberg, Nietzsche and Tolstoy. New York
1918: Alfred A. Knopf S. 73
21
Ebd. S. 81
22
Strindberg, August. August Strindbergs Brev Februari 1888 – december 1889. Bd.7. Hrsg. v. Torsten
Eklund. Stockholm 1961: Albert Bonniers. S. 96
23
In Anlehnung an: Törnqvist, Egil, Jacobs Barry. Strindberg's Miss Julie A play and its transpositions.
Norwich 1988: Norvik Press. S. 44 – 45.
24
Törnqvist und Jacobs sind der Meinung, dass die Handlung in „Fröken Julie“ von den psychologischen
Studien J.P. Jacobsens in Sadomasochismus in dem Roman „Fru Marie Grubbe“ (1876) inspiriert wurde.
Vgl. Ebd. S. 25. In dieser Hinsicht, ist Julie dadurch masochitisch, dass sie sich von Jean demütigen lässt.
Sie fühlt, dass sie es verdient hat, zu leiden, daraufhin, erlaubt sie ihm an ihrer Stelle sie zu bestrafen.
Siehe: Matzlan, Carlotta von: Masochismus: Erogener, femininer und moralischer Masochismus: Freud,
in Masochismus und Macht. Stuttgart 2001: Heinz. S. 39 - 43
25
Strindberg (1961), S. 105
26
Ebd. S. 104
27
Briefe u.a an: H. Österling V. von Heidenstam, J. Seligmann, Siehe ebd. S.106 – 111.
28
Vgl. Sprinchorn (1982), S. 58
5

Strömung dem strategischen Zweck dient, sein Stück veröffentlicht zu haben.
29

3.4 Ein umstrittener Tod
„Nobody commits suicide because of a slip, not even a daughter of a count in the 1880s“

30



Ungeachtet vieler im Vorwort zum darwinistischen Evolutionstheorie angegebene
Argumente und Julies begangenem Fauxpas scheint Selbstmord kein plausibler Ausgang.
Um das Ende zu erklären, schreibt Strindberg in einen Brief an Edvard Brandes
31
, dass bei
einem anderen Ausgang indem sich Julie nicht tötet, würde sie „skänkmamsell på
Hasselbacken
32
, såsom den verkliga Julie blef”
33
werden. Am 04.12.1888 schreibt
Strindberg an Georg Brandes:

„Sjelfmordet är motiveradt riktigt: olusten att lefva, längtan slägtens slutate i den sista
dåliga individen, adelskänslan af skam öfver tidelaget med en lägre art, närmare: suggestionerna af
fogelns blod, rakknifvens närvaro, fruktan för stöldens upptäckande och den starkare viljans
befallning[...]”
34
Die Julie in Strindbergs Briefen an Brandes Brüder stimmt mit der Julie vom Vorwort
überein, um die Figur an die literarischen Vorschriften des Naturalismus anzupassen.
Dennoch ist das kein Beweis dafür, dass dies seiner persönlichen Meinung entspricht.
Für Kritiker wie Sprinchorn, Delblac oder Törnqvist endet das Stück nicht schlüssig, und
betonen die Schwierigkeiten Strindbergs das Ende zuwege zu bringen. Unentschlossenheit
zwischen den modernen Ideen des Naturalismus und seinen eigenen, der innere Druck der
Nachwelt eine Botschaft zu hinterlassen, die ehelichen Probleme mit Siri von Essen
35
und
Victoria Benedictssons Suizid, sind Aspekte, die eventuell den Ausgang des Stück
inspiriert haben. Sprinchorn erklärt: „Nowadays the Julies of this world do not commit
suicide. They cohabit with their butlers, servants, stable grooms, and chauffeurs and
manage to live as happily with them as their sisters do with the proper young men they
meet at their coming-out parties.“
36
Henderson sieht dies genauso: „Miss Julia is no stranger to America, often piqued to
forbidden curiosity by the spectacle of the woman of society eloping with her chauffeuer“
37

4. Das Ende zwischen dem Untergang eines lebensunfähigen Typus oder
einer tragischen Heldin?
4.1 Der Tragiker und Der Naturalist

Der Titel, „Ett naturalistiskt sorgespel“[ein naturalistischen Trauerspiel] deutet auf eine
Koexistenz des Naturalismus und der Tragödie an, zwei vollkommen unterschiedliche
literarische Richtungen. Dem Held wird in der darwinistischen Welt jede Spiritualität oder
Moral abgesprochen, während der tragischen Figur eine moralische Entschlusskraft
29
Vgl. Törnqvist,Jacobs (1988), S. 59 - 60
30
Törnqvist, Jacobs (1988), S. 110
31
Die Bruder Edvard und Georg Brandes Heitmann sind führende Persönlichkeiten im Modernen
Durchbruch. In Anlehnung an: Heitmann (2006), S. 185
32
Restaurant in Stockholm
33
Strindberg (1961), S. 126
34
Ebd., S. 192
35
Sprinchorn (1982). S. 16
36
Ebd. S. 34
37
Henderson (1914). S. 52
6

verliehen wird
38
. In dem Fall von Julie, lag die Entscheidung in ihren Händen?
Im Vorwort legimitiert der Dramatiker das „sorgliga öde” (S. 301) anhand naturalistischer
Argumente wie: „modrens grundinstinkter; fadrens oriktiga uppfostran av flickan ; egen
naturell och fästmannens suggestioner på den svaga degenererade hjärnan;[...]“(S. 301).
Allerdings betont Strindberg die tiefen Einblicke in den menschlichen Charakter, indem er
versucht, Julie einen modernen Charakter zu verleihen: „Jag har således icke förfarit
ensidigt fysiologiskt, icke monomant psykologiskt, icke bara skyllt på arv från modren,
icke bara kastat skulden på månadssjukan, icke uteslutande förordat ”osedlighet” icke
endast predikat moral [...]” (S. 301).

Sprinchorns Ansicht ist trotz dieser Argumente etwas anders: „[...]having deprived his
protagonists of free will by seeing them as creatures in a Darwinian world, he gave it back
to them when he made them the final arbiters of their fates“
39
. Auf diese Weise stimmt
Julies Schicksal mit dem der klassischen Helden der Tragödie überein. Sie nimmt das
Rasiermesser und beendet ihr Leben. Sie alleine bestimmt ihr Schicksal.
Damit, so Sprinchhorn, hat Strindberg auf ein „higher naturalism“
40
gezielt, indem er sich
nicht nur auf eine durch Wissenschaft erklärbare Welt beschränkte, sondern, wie die
Trauerspieldichter, eine Erklärung der Fakten erstrebte, die sich jenseits des Bewusstseins
befinden.
In dieser Hinsicht ist Julie eine naturalistische und eine tragische Figur. Sie ist ein Produkt
ihres Milieus, und ihr eigener Henker. Komplex verbildlicht, ihre Tat ist nicht auf Vernunft
gegründet und bekundet nicht direkt Strindbergs Sympathie oder Antipathie für Julie. Wie
Madsen in „Strindberg's Naturalistic Theather” bestärkt: „[...]Julie is drawn more
objectively than most of his other woman characters, who are almost invariably
defenseless targets of his vindictive misogyny“
41

4.2 Der Humanist

Sven Delblanc, geht von zwei Facetten Strindbergs aus: Strindberg als Humanist und als
Naturalist und begründet das Ende des Stücks mit dem Konflikt zwischen der
humanistischen und der darwinistischen Sichtweise. Dabei wird die folgende Definition
des Humanismus angelegt: „Humanism implies a high estimation of humanity as
perfectible, rational, equiped with free will, a view of the human being incompatible with
Christian pessimism and scientific determinism alike.“
42
5 Bezeichnend für die
humanistische Philosophie ist daraufbezogen, die Verleugnung der Evolutionstheorie. Die
Humanisten reduzieren den Mensch nicht zum biologischen Wesen, sie griffen über auf die
geistige, spirituelle und intellektuelle Seite eines Individuums.
Im Bezug auf „Fröken Julie“, erklärt der Kritiker, hat Strindberg viele Erklärungsversuche
herangezogen, die Selbstmord als „scientifically plausible“
43
dartun. Ungeachtet all dieser
Argumente, ist das Ende des Stücks im Einklang mit der humanistischen Haltung. Aus
dieser Betrachtungsweise, ist Julies Selbsttötung ihr unantastbares Recht, ihr Recht auf
Selbstbestimmung. „Humanism uses tragedy as one means of expression“
44
, daher weist
Delblach darauf hin, dass Selbstmord alle entwürdigenden Fehler des tragischen Helden
aufwiegt.
In dieser Hinsicht, scheint Strindberg, „the humanist“, der menschlichen Würde den
38
In Anlehnung an: Sprinchorn (1982) S. 45 - 46
39
Sprinchorn (1982), S. 48
40
Ebd. S. 49
41
Madsen, Børge Gedsø. Strindberg's Naturalistic Theathre. its Relation to French Naturalism. Seattle
1962: University of Washington Press. S. 82
42
Delblanc, Sven. „Strindberg and Humanism”. In Strindberg's Dramaturgy. Ed. Göran Stockenström.
Stockholm 1988: Almqvist & Wiksell International. S. 5
43
Ebd. S. 9
44
Ebd. S. 8
7

Vorrang vor dem angeborenen Selbsterhaltungstrieb einzuräumen: „[...] Strindberg the
humanist emerged victorious when he had Miss Julie commit suicide and thus preserve her
human dignity“
45
8.
Bezugnehmend auf den Ausgang des Stücks, kann der Kritiker nicht umhin, die
Ambivalenz des Dramatiker festzustellen. Aufgrund der Schwierigkeiten Strindbergs seine
persönliche humanistische Weltanschauung bei den Naturalisten Anklang zu finden, ist das
Ende „confused and artistically unsatisfying“
46
.
Indirekt bestreiten diese Angaben die mutmaßliche Misogynie Strindbergs, da der Künstler
seiner Heldin einen ehrenhaften Ausgang zugestand.

4.3 Der ambivalente Künstler

Im Vorwort werden zwei widersprüchlichen Aussagen Strindbergs aufgedeckt.
Aussagekräftig sind die Verweise auf die Französische Revolution, Don Quixote und die
Ariers: „[...] det finns hos oss alla arier lite adelsman eller Don Quijote, som gör att vi
sympatisera med den sjävmördaren som begått en ärenlös handling och sålunda förlorat
äran,[...]”

(S. 304).
Einerseits erklärt der Dramatiker seine Zugehörigkeit zu der überlegenen Rasse, die der
Arier, und identifiziert sich dadurch mit Julie. Ihr Tod sei eine natürliche Vorgehensweise
für eine Adelige. Ehre ist was sie ausmacht, und was sie von der unteren Schicht
unterscheidet. Strindberg hebt hervor, dass „fröken Julie kan icke leva utan ära“

(S. 304)
Diesbezüglich schreibt Martin Lamm: „Att åskådaren ej får detta glada intryck av utgången
beror på att Strindberg trots sin proklamerade neutralitet skildrat fröken Julies undergång
tragiskt. Hon är den förfinade adelsmänniskan, som dukar under i kampen mot den grova
patriatypen Jean”
47
.
Die Grafentochter wird von ihrem Diener im Klassenkampf besiegt, was Strindbergs
Mitgefühl erregt.
Anderseits beruft sich Strindberg auf die Französische Revolution, indem seine
Anfeindungen gegen das schwächere Subjekt anschaulicher werden: „När vi bli starka
som de första franska revolutionsmännen, skall det göra ett obetingat gott och glatt intryck
att åse kronoparkernas gallring från murkna överåriga träd, […], ett gott intryck såsom när
man ser en obotligt sjuk få dö”

(S. 300). Durch den Tod der Heldin soll sich die
Bestätigung für den Untergang ihres „lebensunfähigen“ Typus ergeben. Dies gilt
zweifelsohne als frauenfeindlich.
Aufgrund dieser im Widerspruch stehenden Aussagen kann nicht aufgespürt werden, mit
welchen Gefühlen, Strindberg seine Protagonistin konturierte. Ob das tatsächlich seine
Auffassung von der modernen Frau war, deren Klasse aussterben musste, oder als Beweis
für seine Misogynie diente, ist ungewiss. Vielmehr ist das ein Beleg für seinen
ambivalenten Charakter.

5. Zusammenfassung

Die Ergebnisse aller Ansätze lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Gleichstellung
von Mann und Frau wird im Modernen Durchbruch in Frage gestellt und die
zeitgenössischen Autoren und Autorinnen tendieren dazu, die Frauenfrage und das
Egalitätsprinzip zu thematisieren. Dennoch ist „Fröken Julie“ nicht als Tendenzstück für
die Frauenbewegung zu betrachten.
Für die Rollenvorstellung der Frau am Ende des Jahrhunderts finden sich einige Beispiele
45
Delblanc (1988), S. 8
46
Ebd. S. 9
47
Lamm, Martin. Strindbergs Dramer. 2 Bände, Stockholm 1924: Albert Bonniers. S. 328
8

im Stück. So symbolisiert Julie die mittellose, über den Mann definierte Frau. Sie ist
finanziell von ihrem Vater abhängig, und sie bedarf der Wertschätzung Jeans. Der Furcht
von einer eventuellen unehelichen Schwangerschaft und dem Gedanken Schande über die
Familie, über Ihren Vater gebracht zu haben, steht sie machtlos gegenüber. Sie definiert
ihren Lebenssinn über die „Befehle“ eines Mannes, und verfällt ihrer Geringschätzung.
Obwohl sie standesgemäß geboren ist, nimmt die Grafentochter nach der Defloration durch
ihren Diener eine untergeordnete Stellung ein, charakteristisch für das Verhältnis zwischen
Mann und Frau in der noch patriarchalisch geprägten Einstellung der Gesellschaft, die
einer Frau untersagt, vor- und außerehelicher erotische Beziehungen zu haben. Die
Geschlechterordnung und die Klassendifferenz sind in „Fröken Julie“ eng miteinander
verwoben. Die Nichteinhaltung der zugeschriebenen Rollen wird stark sanktioniert, was
Julie in Verzweiflung treibt.
Die zitierten Kritiker zufolge, ist das Ende des Stücks unlogisch und die bestreiten die
Behauptungen Strindbergs, dass die Frauen, die sich aus ihrem Lebensbereich wagen, zum
Untergang verurteilt sind.
Es wurden mehrere Hypothesen über die Inspirationsquellen des Stücks ausgestellt,
allerdings keine davon stellt ein Zusammenhang mit der frauenfeindlichen Einstellung
Strindbergs her.

Strindberg als Gegner dieser Strömung, nimmt die Position der Männlichkeit ein, und wird
dadurch als Misogyn abgestempelt
48
. Zudem nach drei missglückten Ehen und einer
ungesunden Mutterbeziehung ist das Verhältnis zu den Frauen stark beeinträchtigt. Wegen
der Hochachtung für die mütterliche Frau, übersah Strindberg, die unfaire Ungleichung
zwischen Mann und Frau, tritt gegen Frauenwahlrecht oder Frauenarbeit ein.
49

Dabei entsteht eine Diskrepanz zwischen seinem eigenen Bild von der Frau, und dem, der
G...

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Inactive member [2016-11-12]   Essay Strindberg
Mimers Brunn [Online]. https://mimersbrunn.se/article?id=59930 [2024-04-19]

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