Die Angst des Tormanns beim Elfmeter - zum Problem der Sprache.

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uppladdat: 2006-07-30
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Einleitung.

Die Sprache gehört zu den wichtigsten Kommunikationsmittel im Leben eines Menschen. Damit vermitteln wir unsere Gefühle, unsere Gedanken und unsere Ansichten. Wenn aber etwas in diesem Prozeß stört – wenn beispielsweise die Kommunikation zwischen Menschen wegen einer falschen Interpretation des Gesagten nicht funktioniert – kann es zu sehr komplizierten Mißverständnissen kommen. In der vorliegenden Abhandlung wird dieses Problem der Sprache erörtert werden, indem besonderes Gewicht auf die Geschehnisse im Werk „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ von Peter Handke gelegt werden wird.


1. Zum Autor.

Peter Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen-Altenmarkt, bei Kärnten, Österreich, geboren . Sein Vater, ein Sparkassenangestellter und deutscher Soldat, war bereits verheiratet, als er Handkes Mutter kennenlernte. Noch vor der Geburt Peter Handkes heiratete sie einen anderen Soldaten, den Berliner Straßenbahnschaffner Bruno Handke. Vier Jahre wohnte die Familie Handke in Ostberlin, zog aber 1948 zum Heimatort der Mutter in Österreich zurück, und Peter Handke fing dann allmählich sein Studium am katholischen Internatsgymnasium in Tanzenberg an, wo er 1961 das Abitur machte. Danach fing er an, in Graz Jura zu studieren, brach aber das Studium ab, als sein erstes Romanmanuskript (Die Hornissen) von einem Verlag angenommen wurde. Ab 1973 wohnte Handke mit seiner Tochter Amina in Paris, zog aber 1978 in die USA, dann nach Salzburg und schliesslich wieder nach Frankreich, wo er jetzt mit seiner Partnerin, der französischen Schauspielerin Sophie Semin, in dem kleinen Dorf Chaville in der Nähe von Paris lebt. Sie haben zusammen eine 1992 geborene Tochter, mit dem Namen Leocadie.
Die Kindheit des Autors scheint keine leichte gewesen zu sein. Im November 1971 beging seine Mutter Maria Handke Selbstmord mit der kurzen Begründung, „es sei undenkbar weiterzuleben“. Dieses Ereignis muß tiefe Spuren in der Erinnerung des jungen Handke hinterlassen haben. Einige Monate später erschien das Buch „Wunschloses Unglück“; ein Versuch des Sohnes, sich mit den Gefühlen, die nach dem Tod der Mutter an die Oberfläche emporstiegen, auseinanderzusetzen. In diesem Buch beschreibt Handke die Gefühllosigkeit, die in der Familie herrschte und die die Mutter schließlich dazu brachte, sich ihr Leben zu nehmen, um den totalen Indentitätsmangel ein für alle Mal loszuwerden. Schon im Titel „Wunschloses Unglück“ ist ein aggressives Moment enthalten: Das Wortspiel weist nicht nur auf das vollständige Unglück hin, sondern auch auf ein Unglück, „das nichts übriges zu wünschen hinterläßt“ .


2. Zum Werk.

Jedes von Handkes Bücher ist eine sich ständig erneuernde Wahrnehmungsanstrengung. „Die Wahrnehmung strengt sich an, im Wahrgenommenen zu verschwinden, ist zugleich aber bei dem, was dem bloßen Hinschauen entgeht!“ , so Alfred Kolleritsch, Betreuer von Handkes in den 60er Jahren erschienenen literarischen Publikationen.
Beim ersten Blick scheinen die Bücher von nichts Wesentlichem, sondern von etwas Beliebigem, zu handeln. Es ist dem Leser völlig klar, daß Handke keine Erzählung im gewöhnlichen Sinne beabsichtigt, sondern auf seine Weise die Sprache zum Neuanfang zu bringen versucht. Die frühen Romane, zu denen auch „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ gehört, bauen alle darauf, daß Sprache die einzige Wirklichkeit ist, die die Literatur spiegeln kann. Alfred Kolleritsch sagt in der kleinen Schrift „Anschauen und Angeschautwerden“, wie sehr man sich anstrengen muß, um Handkes Werk ganz und gar zu verstehen. Es ist eine Notwendigkeit, daß man vom eigenen Sehen von Redewendungen, Meinungen und Vergleichen frei wird. Wenn man diese Kriterien nicht erfüllen kann, bleibt es einem nur noch übrig, die Bücher Handkes als blöd und nichtssagend zu charakterisieren .
Ein weiteres Beispiel dafür, dass Handkes Kreationen den Begriff „Literatur“ in ein anderes Licht als das gewohnte und üblich gewordene führen lässt, bietet das am 11. Mai 1968 zum ersten Mal aufgeführte Schauspiel Kaspar Hauser. „Das Stück zeigt nicht, wie ES WIRKLICH IST, oder WIRKLICH WAR mit Kaspar Hauser. Es zeigt, was MÖGLICH IST mit jemandem (…), wie jemand durch Sprechen zum Sprechen gebracht werden kann (Sprechfolterung).“, so der Autor selbst in der Einleitung des Buches . Die Ähnlichkeiten mit unserem Protagonisten (Bloch) kommt einem jetzt ganz deutlich zum Vorschein. Es wird vom Erzähler genau so wenig über den eigentlichen Lebenslauf Kaspar Hausers wie von dem Josef Blochs erzählt. Dem Lesenden wird in beiden Fällen eine ganze Menge Fragen gegeben: Was steckt da hinter? Warum tut er so? Was geschieht hier bloss? Wenn die Geschichte von Kaspar Hauser eine Art „Sprechfolterung“ sei, dann wären die Vorkomnisse in „die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ als „Kommunikationsfolterung“ auszulegen, da ja Bloch von allen verschiedenen kommunikativen Prozessen im Alltag gestört (besser: gefoltert) wird, nicht nur vom Sprechen. Handke treibt also in diesem einige Jahre nach dem Schauspiel Kaspar Hauser ausgegebenen Buch das Problem noch weiter, indem nicht nur von der mündlichen Kommunikation, dem Sprechen, geredet wird, sondern von allen Bereichen des alltäglichen Kommunizierens.
Handke hat einen anderen Weg als den gewohnten und literarisch akzeptierten gewählt, und es könnte ihm vorgeworfen werden, er weiche allzu sehr vom Prinzip der Epik ab, ohne dabei ersatzweise gewichtige Aussagen zu treffen oder Denkanstöße zu geben. Wenn man sich aber ein wenig Zeit nimmt, um sich den merkwürdigsten Stellen in der Erzählung zu widmen, kann es sein, daß man sich in die durchaus komplizierte Handkesche Denkweise hineinversetzen kann.
Auch im Werk „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ steht die Handlung nur vage im Hintergrund und das eigentliche Ziel der Geschichte ist, die innere Entwicklung der Hauptfigur (Bloch) darzustellen, indem skizziert wird, wie Sprache von Menschen benutzt wird und zu welchen komplizierten Mißverständnissen es kommen kann, wenn man einander nicht versteht. Da das Buch Ende der 60er Jahre erschien, könnte behauptet werden, Handke habe im Zuge der damaligen Hippiebewegung ausschließlich provozieren wollen (diese Interpretation könnte man übrigens für viele seiner Werke gelten lassen!). Hatte der Klappentext den Leser davon überzeugt, es handle sich um eine gewöhnliche „Kriminalgeschichte“, so belehrte ihn der Fließtext eines Besseren. Schon die Tatsache, daß die Aufklärung der Geschichte außen vor gelassen wird, schließt alle eingewurzelten Erwartungen, die man vor dem Lesen über das Buch hätte haben können, aus.
Handke hat in vielen Interviews die Reporter darauf aufmerksam gemacht, er sehe sich nicht als Autor, sondern als „Wiedererzähler“ („zu erzählen ist eine existentielle Notwendigkeit“); daß er die Welt als Zeichen auffasse und aufschreibe . Diesem Kommentar ist hinzuzufügen, daß in den Dialogen im Buch „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ fast ausschließlich die indirekte Rede benutzt wird. Dadurch entsteht eine dem Leser beinahe unüberwindbare Distanz zu den Romanfiguren, und man hat Schwierigkeiten, sich in die Gedankengänge und Gefühle der verschiedenen Charakter hineinzuversetzen. Somit wird einem noch klarer, es sei nicht die Handlung der Geschichte, die wichtig ist, sondern eher die Sprache und die damit verbundenen Kommunikationsprobleme. Viele behaupten, man müsse Handke mit den Augen eines Autors lesen, gleichzeitig ist er aber der Ansicht, er schreibe wie ein Leser .


3. Inhaltssangabe.

Das Buch „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ handelt von dem ehemaligen Tormann Josef Bloch, der eines Morgens beim Erscheinen in der Tür der Bauhütte seines Arbeitgebers von seinen Kollegen ignoriert wird. Diese Tatsache legt Bloch als Kündigung aus, und er verlässt das Baugelände. Jetzt folgt eine orientierungslose Odyssee durch die Straßen seiner Stadt, was schließlich in einem Mord an der Kinokassiererin Gerda resultiert. Bloch flieht per Bus in einen Grenzort, auch wenn er sich einredet, gar kein Fliehender zu sein, sondern ein ganz gewöhnlicher Mann zu Besuch bei einer alten Freundin. Er fühlt sich jedoch während der Fahrt von allen Mitpassagieren beobachtet, was auf ein schlechtes Gewissen aufgrund des von ihm gerade begangenen Mordes zurückgeführt werden könnte.
Im Ort erfährt Bloch, daß ein sprachbehinderter Schüler verschwunden worden ist. Als Bloch später über die Leiche des Jungen stolpert, behält er das Vorkomnis für sich – er wagt es nicht, bei der Polizei Meldung zu erstatten, aus Angst, er könnte verdächtigt werden.
Überhaupt scheint Bloch, seitdem er den Jungen gefunden hatte, von einer starken Unsicherheit und Verstörtheit geplagt zu sein. Er kann mit niemandem mehr reden, ohne sich seinem Gegenüber mißtrauisch zu stellen. Aufgrund dessen und seines übermäßigen Alkoholkonsums gerät er mehrmals in Schlägereien, und zum Schluß wird er immer zum Verlierer. Auch mit der ehemaligen Freundin hat Bloch Schwierigkeiten, richtig und ohne provokante Mißdeutungen zu kommunizieren.
Als er eines Morgens im Gasthof sein Fahndungsfoto in der Zeitung sieht, geht er und wird allmählich zum Zuschauer eines Fußballspiels. Er wird dabei in eine Unterhaltung über die Angst eines Tormannes beim Elfmeter verwickelt. Als dann plötzlich ein Elfmeter gepfiffen wird, steht der Tormann ganz still, und der Schütze schießt ihm den Ball in die Hände.



4. Sprache und Kommunikation: Definitionen der Begriffe.

Was heisst eigentlich Kommunikation bzw. Sprache?
Das „Brockhaus Wahrig Deutsches Wörterbuch“ gibt folgende Definitionen für diese zwei Begriffe an:

Kom mu ni ka ti‘on Beziehung zw. Menschen, Lebewesen, maschinellen Systemen od. technischen Geräten, bei der über Symbole u. Zeichen (Sprache, Bilder, Schrift, Signale,
körperliche Reize u.ä.) Informationen vermittelt
werden; (Band 4)

’Spra che 1.1 System von Zeichen, die (dem Menschen) zum Ausdruck von Gedanken, Gefühlen, Willensregungen usw. Dienen;
1.2 Zeichenvorrat als Besitz einer Sprachgemeinschaft.
1.3 durch einen bestimmten Wortbestand, bestimmte Wendungen o.ä. gekennzeichnete Redeweise (z.B. unter den Angehörigen eines Berufs, innerhalb eines Fachgebietes od. einer sozialen Schicht, Gruppe od. auch in bestimmten Situationen); (Band 5)

Wie aus dem obigen Austrag eines Wörterbuches hervorgeht, schließt der Begriff Kommunikation nicht nur das ein, was ausschließlich mit der Sprache vermittelt wird, sondern umfaßt auch die mit Blicken, Briefen, Bildern usw. übertragenen Informationen. Leider funktioniert für unser Interpretationsobjekt Josef Bloch keine dieser verschiedenen Kommunikationsmethoden. So unterliegt Bloch vom Anfang der Erzählung an schon ständig der Mißdeutung von Gesten und Sprechweisen seiner Umgebung. Unten sind kurze Erläuterungen zu jedem dieser Kommunikationsmethoden zu lesen.
Aus der dritten Bezeichnung für Sprache im Wörtbuchsaustrag geht hervor, wie wichtig es ist, daß Menschen innerhalb einer sozialen Schicht auf dieselbe Weise die Sprache benutzen, damit es zu keinen peinlichen Mißdeutungen kommt. Auch wenn die Sprache als Zeichenvorrat für alle Menschen innerhalb einer Sprachgemeinschaft dient, wird sie keineswegs von allen Leuten dieser Gemeinschaft gleich gesprochen. Es sind immer individuelle und soziale Unterschiede, die eine Rolle spielen (vgl. Bloch und die Kinokassiererin.).




4.1 Blicke.

Sofort auf der ersten Seite der Erzählung gibt es ein Beispiel dafür, dass nicht nur mit der mündlichen Sprache kommuniziert wird, sondern auch mit dem, in diesem Falle ausgebliebenen, Blick:

„Dem Monteur Josef Bloch, der früher ein bekannter Tormann gewesen war, wurde, als er sich am Vormittag zur Arbeit meldete, mitgeteilt, daß er entlassen sei. Jedenfalls legte Bloch die Tatsache, daß bei seinem Erscheinen in der Tür der Bauhütte, wo sich die Arbeiter gerade aufhielten, nur der Polier von der Jause aufschaute, als eine solche Mitteilung aus und verließ das Baugelände.“

Bloch wird von allen seinen Mitarbeitern, außer dem unwichtigen Polier, ignoriert. Dieses ignorante Benehmen seiner Mitarbeiter faßt Bloch als Kündigung auf. Ob er in Wirklichkeit entlassen wurde oder nicht, darüber klärt der Erzähler nicht direkt auf; allerdings ist zu vermuten, er sei nicht entlassen worden, da er, als er am nächsten Tag seine Papiere abholen wollte, eine ganze Weile warten mußte, bevor man sie ihm aushändigte.


4.2 Körperliche Kommunikation.

Der Mensch kommuniziert auch mit dem Körper. Es gibt keinen Menschen, der keinerlei Geste während des Sprechens benutzt, um seine Aussage noch deutlicher und interessanter zu machen. (Blicke können zwar auch als eine Art der körperlichen Kommunikation charakterisiert werden, es scheint aber berechtigt, diese Kategorie für sich einzuteilen, da sie tatsächlich eine besondere Rolle in der zu interpretierenden Erzählung besitzt.) Auch mit dieser Art der Kommunikation hat Bloch Schwierigkeiten, umzugehen. Er missdeutet meistens die Gesten der Leute in seiner Umgebung. So fasst Bloch, als er die Kassiererin zusammen mit einem Mann ins Auto einsteigen sieht, das Zurechtziehen ihres Kleides auf dem Beifahrersitz als eine Erwiderung seines an sie gerichteten Blickes auf, obwohl es höchstwahrscheinlich nichts damit zu tun hat.


4.3 Schriftliche Kommunikation.

Schriftlicher Kommunikation begegnen wir u.a. in Zeitungen. Überall wo etwas geschrieben wird, wird auch gleichzeitig kommuniziert. Auch dieser Aufsatz ist ein Beispiel des schriftlichen Kommunizierens. Bloch, der regelmässig Zeitungen verschiedener Art liest, stört auch diese Art der Kommunikation (oder besser: es stört ihn, wie die Kommunikation dem Leser vorgelegt wird):

„Als, ohne dass ein Absatz gemacht wurde, die Sätze unvermittelt von etwas ganz anderem, (...), handelten, schrak er auf. Da hätte man doch einen Absatz machen müssen!, dachte Bloch, der nach dem kurzen Aufschreckung wütend geworden war.“ (S. 18)

Dass Bloch wütend wird, nur weil der Reporter beim Artikelschreiben keinen Absatz zwischen zwei verschiedenen Artikeln gemacht hat, scheint, auf jeden Fall dem Verfasser, der selber dem Einfluss der alltäglichen Sprache total unterworfen ist, eine etwas übertriebene
Reaktion zu sein. Zwar wird das Lesen beträchtlich erschwert, wenn die Artikel miteinander gemischt werden, es ist wohl aber kaum ein Anlass, total wütend zu werden? Bloch benimmt sich auf eine sehr merkwürdige, launische Weise.


4.4 Mündliche Kommunikation.

Diese Kommunikationsmethode braucht wohl kaum näher vorgestellt zu werden. Es handelt sich ja ganz selbstverständlich um die gesprochene Sprache, die von Menschen überall im Alltag benutzt wird. Diese Kommunikation muss als die Kommunikation klassifiziert werden, mit der Bloch am meisten Probleme hat und die ihn am meisten stört. Alle Menschen gehen wie selbstverständlich mit der Sprache um, benutzen sie genau so natürlich wie den Sauerstoff in der Luft. Für Bloch funktioniert es allerdings nicht so. Er hat ein distanzierteres Verhalten zur Sprache, und es ist das Problem, das ihn schliesslich zum Mörder macht und ihn dazu zwingt, alles Gewohnte zu verlassen, um neu anzufangen.

Warum dieses distanzierte Verhalten Blochs?


5. Blochs (Un-)Fähigkeit zur Kommunikation (bis zum Mord) und die damit verbundenen Probleme.

Josef Bloch ist ein durchaus komplizierter Charakter, der wahrscheinlich eine längere Zeit an Depressionen gelitten hat. Wie sonst sind sein oft abweichendes Verhalten und seine anstoßerregenden Reaktionen zu erklären? Leider hat der Erzähler m.E. nicht genug das Wesen Blochs erklärt, und es verhält sich deswegen offenbar so, daß er überhaupt keine psychoanalytische Diagnostisierung seiner Hauptfigur beabsichtigt hat. Vielmehr hat der Autor mit der Geschichte zeigen wollen, wie der Mensch von Sprache abhängig ist und zu welchen komplizierten Mißverständnissen und Auseinandersetzungen es führen kann, wenn die Kommunikation nicht richtig funktioniert. Aufgrund dessen kann meiner Meinung nach gut verstanden werden, warum die Erzählung beim ersten Blick als unbeendet und nicht vollständig aufgefasst werden könnte. Es wird ja die Handlung einer gewöhnlichen „Kriminalgeschichte“ ausgelegt, ohne dass eine Aufklärung im üblichen Sinne berücksichtigt wird. Bloch stößt in der Geschichte hingegen auf viele derartige Situationen, wo er durch die Art der Kommunikation seines Gegenübers gestört wird. Es fängt schon auf der ersten Seite des Buches an: Bloch meldet sich zur Arbeit und wird von niemandem begrüßt, außer von dem scheinbar unwichtigen Polier, der kurz von der Jause aufschaut. Er nimmt aufgrund dieser Ignoranz seiner Kollegen an, ihm sei wohl gekündigt worden. Warum er sich solche Gedanken macht, wird leider nicht geklärt. Hatte er vielleicht schon früher damit gerechnet, dass er in der nächsten Zeit entlassen werden könnte? Es ist auf jeden Fall, aufgrund dieses Mangels an Aufklärungswillen von der Seite des Autors, zu behaupten, Blochs Reaktion sei übertrieben. Vielleicht hatten seine Kollegen seine Erscheinung deshalb nicht wahrgenommen, weil sie ihn ganz einfach nicht eintreten hörten. Wenn er nur ein freundliches „Guten Morgen!“ oder mindestens ein kurzes „Hallo!“ hervorgebracht hätte, wäre die Situation vielleicht anders geworden. Aber das konnte sich scheinbar der durchaus komplizierte und in vielerlei Hinsicht spezielle Bloch nicht leisten!
Weiter ist es Bloch, als sei die ganze Welt irgendwie gegen ihn. Er begrüßt einen Polizisten, der aber nichts erwidert. Bloch wundert sich dabei, daß im Gegensatz dazu die Kinokassiererin ihm vorher die Kinokarte wie selbstverständlich gab, sobald er ihr das Geld gegeben hatte. Er faßt die Kassiererin am Anfang ihrer Begegnung als erleichternd anders im Unterschied zu den restlichen Leuten auf, eine für ihn voreilige Schlußfolgerung, die allmählich in einem Mord resultiert, wenn er sich seines Fehlers bewußt wird. Ins Kino zu gehen scheint übrigens eines der grössten Interessen unserer Hauptfigur zu sein. Drinnen im dunklen Kinosalon fühlt er sich wohl, vermutlich weil ihm das Kino einen erleichternden Abbruch von seiner Umgebung und seiner verstörten Wahrnehmung anbietet. Also unterscheidet sich der ehemalige Tormann Josef Bloch doch nicht so sehr von jenem Otto Normalverbraucher, der es auch sehr gern hat, sich, so oft der Terminskalender es gestattet, Kinofilme anzuschauen.
Was stört Bloch an seinen Mitmenschen? Wenn man das Problem mit der Kassiererin ein bißchen genauer erhellt, stellt sich folgendes heraus: Bloch und Gerda (die Kassiererin) hatten kaum miteinander gesprochen, bevor sie ins Bett gingen, und Gerda wußte ebenso wenig über Bloch wie Bloch über sie. Am folgenden Tag wird Bloch sich seines Fehlers bewusst, als er tatsächlich mit ihr zu reden anfängt. Ein konkretes Beispiel aus dem Buch:

„Nach einiger Zeit merkte Bloch, dass sie von Dingen, von denen er ihr gerade erst erzählt hatte, schon wie von ihren eigenen Dingen redete, während er dagegen, wenn er etwas erwähnte, von dem sie gerade gesprochen hatte, sie entweder nur vorsichtig zitierte oder (...) ein befremdendes und distanzierendes „Dieser“ oder „Diese“ davorsetzte, als fürchte er, ihre Angelegenheiten zu den seinen zu machen.“

Bloch stört es, dass die Kassiererin keine Distanz zwischen sich und seinen Angelegenheiten berücksichtigt. Sie spricht so selbstverständlich über das von ihm Erlebte, als hätte sie es gleichzeitig miterlebt, und nimmt sogar an, er sei mit ihren Angelegenheiten auch ganz vertraut. Bloch dagegen, versucht immer die Dinge, mit denen er nichts zu tun hat, von sich weg zu schieben. Er hält es für sehr wichtig zu erklären, dass es sich nicht um etwas von ihm erlebtes handelt, sondern dass es um eine andere Person geht. Er hat es nötig, eine gewisse Distanz zwischen sich und die Angelegenheiten der anderen zu halten. „Ich bin nicht Schuld!“ „Damit habe ich nichts zu tun!“. Solche Ausdrücke werden später in der Erzählung nicht selten von ihm verwendet werden. Es ist in der Tat nicht nur an der Kassiererin, wo Bloch die Gewohnheit beobachtet, alles auf sich selbst zu beziehen. Auch später, als er sich im Grenzort befindet, begegnet er Problemen aufgrund dieser Gedankenlosigkeit der anderen. Mehr über dieses Problem wird später in diesem Aufsatz besprochen werden.
Eine andere Stelle, die m.E. beim Interpretieren der Erzählung in bezug auf sprachliche und kommunikative Probleme sehr interessant ist, ist folgende:

„Die Handtasche in ihrer freien Hand kam ihm
einen Augenblick lang vertrauter vor als sie selber.“ (S. 18).

Wie ist es denn auszulegen, dass Bloch die Handtasche vertrauter ist als das Mädchen selbst? Eine mögliche Erklärung wäre, dass ihm die Handtasche (der stumme Gegenstand) keinen störenden Missverständnissen in bezug auf Sprache aussetzt, auf jeden Fall noch nicht –was später passiert, haben wir noch zu besprechen. Wenn das Mädchen ihm gegenüber zärtlich wird, dann wird er zuerst unsicher –vielleicht, weil er in erster Linie keine sexuelle Beziehung zwischen sich und ihr beabsichtigt hatte. Wenn also das Mädchen auf eine Weise mit ihm kommuniziert, mit der er nicht gerechnet hatte, wird er unschlüssig, und kann einen Augenblick lang nur ihre Handtasche sehen. Hier ist ein Beispiel dafür, dass Bloch auch die körperliche Kommunikation missversteht. Bloch ist aber letzten Endes nur ein Mensch, weshalb es nicht besonders lange dauert, bis seine körperlichen Lüste wieder die Kontrolle über das Bewußtsein übernehmen und er sich wieder dem Mädchen statt ihrer Handtasche widmet. Am folgenden Tag wird er sich aber seines Fehlers bewußt, und wenn die Kommunikation auch dann zwischen den beiden misslingt, dann bringt er sie schliesslich um. Kurz nach dem Aufwachen hat er aber ein ganz sonderbares Gefühl:

„Mit geschlossenen Augen überkam ihn eine
seltsame Unfähigkeit, sich etwas vorzustellen.“ (S. 18).

Er mußte, um sich die Sachen im Schlafzimmer mit geschlossenen Augen vorstellen zu können, daraus Sätze bilden, die mit den Gegenständen in Beziehung gestellt werden konnten (Dies könnte als ein Versuch des Erzählers zu interpretieren sein, sich der Grundbedeutung der Wörter anzunähern, indem die Gegenstände in einen anderen Zusammenhang als dem Gewohnten gestellt werden.) Aufgrund seines durchaus verstörten Zustands wird ihm dann alles zuviel, als ihm das Mädchen allerlei Fragen stellt. So kann er schliesslich nicht umhin, sie auf ewig zum Schweigen zu bringen. Seine ernsthafte Kommunikationsprobleme enden aber mit dem Tod der Kassiererin nicht.
Jetzt muss Bloch weg aus seiner Stadt, um der Polizei und der Haftung zu entfliehen. Allerdings ist zu vermuten (und es ist einem, wenn man auch andere Bücher von Handke gelesen hat, ziemlich klar, dass die Flucht nicht nur auf die Angst, verhaftet zu werden, zurückzuführen ist), dass diese Flucht auch eine andere Bedeutung hat, die sich auf das Loswerden der Kommunikationsprobleme bezieht. Er begibt sich also auf eine Reise zu einem südlichen Grenzort, wo er dieses Vorhaben zu vollbringen hofft.


5.1 Die Bedeutung des Grenzorts.

Das Reisen in einen Grenzort ist ein für „die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ keineswegs einzigartiges Vorkomnis. Die Erzählungen Handkes enthalten oft dieses besondere Moment, und es kann so interpretiert werden, daß die Reise an die Grenze eigentlich eine Metapher für eine andere, innerliche, Reise ist, ein sog. „Unterwegssein in der Sprache“ . Hier ist noch einmal auf den Aufsatz „Unterwegs in der Sprache mit Heidegger und Handke“ von Martin Todtenhaupt hinzuweisen. Aus seinem Aufsatz, wo die Überzeugung Martin Heideggers, der Mensch benutze die Sprache in zu verengenden Kontexten, vorgestellt wird, geht hervor, dass die Sprache in unserer hektischen und von Technik abhängigen Gesellschaftsordnung immer zur bloßen Mitteilung benutzt wird. Er (der Mensch) hat daher keinen Blick für die seinskonstituierende Dimension der Sprache und damit für sein eigenes, eigentliches Sein (…) . D.h. mit anderen Worten, dass die Menschen sprechen, ohne dass sie sich eigentlich verstehen, selbst wenn sie glauben, dass sie sich verstehen. Alle benutzen die gleichen Wörter, die gleichen Bezeichnungen. Welche Bedeutung aber auf den Gegenstand, das Bezeichnete, bezogen wird, ist höchst individuell. Ein Beispiel: Zwei Individuen sprechen über „Glück“. Jeder hat ein klares Bild darüber, was Glück (für ihn/sie) bedeutet. Es kann aber sein, dass die beiden Bedeutungen miteinander nicht übereinstimmen. Insofern reicht die Sprache (besser: unsere Verwendung der Sprache) nicht aus, wenn man über abstrakte Dinge wie z.B. „Glück“ sprechen will. Es kommt unvermeidlich zu Missverständnissen. Jedoch funktioniert die Sprache ausgezeichnet, wenn über solche Dinge gesprochen wird, die alle Menschen schon kennen: Dass z.B. das Wort „Stuhl“ gerade einen Stuhl bezeichnet und nichts anderes bezeichnen kann, darüber haben sich alle Leute seit langem schon geeinigt. Dies gilt sowohl für den Stuhl als auch für die Kinokarte. Dass die Kinokassiererin Bloch ganz selbstverständlich die Kinokarte im Austausch für sein Geld aushändigt, kann nur ein Beispiel für dasselbe Phänomen sein. Solange die Kommunikation auf solche „Tauschakte“ beschränkt ist, dann kann es gewöhnlicherweise zu keinem Missverständnis kommen. Sobald aber über Dinge abstrakteren Charakters, wie z.B. „Glück“ oder sogar „Demokratie“ und „Freiheit“, geredet werden, dann häufen sich die verschiedenen Meinungen (Bedeutungen). Die Bedeutungen solcher Begriffe sind in höchstem Grade sowohl von individuellen Wertungen als auch kulturellen und sozialen Bedingungen abhängig. So bringt Bloch die Problematik auf die Spitze, indem er die Kassiererin ermordet, wenn ihm die Missverständnisse zuviel werden.
Hier liegt es nahe, mit dem auch von Handke geschriebenen Roman „die Wiederholung“ zu vergleichen, wo es auch um diese Problematik der Sprache geht und es der Hauptfigur, Filip Kobal, tatsächlich gelingt, zu einem höheren Verständnis in bezug auf Sprache zu gelangen. Er begibt sich, im Unterschied zu Bloch, in eine unbewohnte und kaum bewirtschaftete Gegend, um die Welt der von Menschen vergessenen Bedeutung der Wörter zu eröffnen. Damit das gelingt, ist es notwendig, den heimatlichen Sprachraum zu verlassen, um nicht dessen spezifischer Verwendung (…) von Wörtern (…) unterworfen zu sein . Als sich Bloch also in den Ort begibt, wo seine ehemalige Freundin lebt, lebt er nicht nach dieser „Vorschrift“, und kann nicht an den Neuanfang der Sprache herankommen. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass Bloch und Kobal nicht die gleichen Voraussetzungen haben, diesen Neuanfang der Sprache zu vollziehen. Kobal ist ein philosophischer Mensch, er hat lange an dieses Problem der Sprache gedacht, und kann somit letztendlich den Neuanfang vollziehen. Bloch
andererseits, ist sich genau so wenig dieses Problems der Sprache bewusst wie die meisten Menschen. Er hat keine Ahnung davon, warum ihn alles immer mehr stört, warum er alle Automatismen des Lebens so bewusst wahrnimmt. Er weiss nur, dass er einen Mord begangen hat und jetzt fliehen muss, um nicht verhaftet zu werden.
Durch seine ganze literarische Karriere hat Handke auf diese Problematik der Sprache aufmerksam machen wollen. Es fing mit Kaspar Hauser an, ging u.a. mit Bloch bzw. Kobal weiter, und erlangte schliesslich zum Ziel im Buch „Mein Jahr in der Niemandsbucht“, wo eine Erzählung ohne Handlung, ohne Zweck, erzählt wird.
Der einzige Ort in der Heimatstadt, wo sich Bloch wohl zu fühlen scheint, ist drinnen im Südbahnhof. Er hat so eine große Vorliebe für diesen Ort, daß er es tatsächlich bevorzugt, lieber dort in einer der Duschkabinen als im Hotelzimmer zu duschen! Diese Tatsache muß etwas mit der bevorstehenden Reise an die Grenze zu tun haben. Bloch fühlt, daß man vom Bahnhof aus wegkommen kann, weg aus der Stadt, aus der ihn plagenden Wahrnehmung, aus der gewohnten Sprache. Noch ein Beispiel verstärkt die Wahrscheinlichkeit dieser These: Als sich Bloch mit einer alten Bekannten verabredete, fuhren sie zusammen zum Südbahnhof. Als es sich dann aber herausstellte, daß der Bahnhof geschlossen war, erschrak er und mußte der Frau eine Vorwand machen, damit er alleine wieder schnell davonfahren könnte. Als er den Bahnhof, seinen einzigen Zufluchtsort, geschlossen sah, vergegenwärtigte es sich für ihn, daß er in dieser Stadt und in dieser ihn plagenden Sprache eingesperrt sei. Der Gedanke, nicht wegkommen zu können, war für ihn total unerträglich. Die Tatsache, daß dieses Schreckensgefühl noch vor die Zeit des Mordes erlebt wurde, deutet noch mehr darauf hin, daß der Mord nur im Hintergrund der Geschichte steht und in erster Linie als Metapher anzusehen ist.


5.2 Die Bedeutung des Mordes.

Der Mord steht als Metapher für einen radikalen Wendepunkt im Leben Blochs. Hatte er vorher die Kommunikation seiner Umgebung für unveränderbar gehalten, so entscheidet er sich jetzt, es nicht mehr zu akzeptieren. Der plötzliche Mord war eine Kurzschlußhandlung, ein endgültiger Schrei an die Welt, es nicht mehr aushalten zu können. Diese Tat verlangte aber so viel Energie vom Täter, daß er unmittelbar nachher einschlief. Als er wieder aufwachte, kam er sich an allen Stellen offen vor (S. 22). Er war jetzt für alle Eindrücke empfindlich, und konnte alle Gegenstände neu auffassen. Jetzt hat er seine Chance, neu mit der Sprache anzufangen. Er sieht es aber selber nicht bewusst ein.
Der Mord und der gesamte Handlungsablauf dienen, wie schon früher erwähnt, als ein Mittel dazu, auf die Probleme der Sprache in der modernen Gesellschaft aufmerksam zu machen. Handke hat wahrscheinlich diese Erzählweise gewählt, weil die Leser mit dieser Erzähltechnik, der der „Kriminalgeschichte“, seit langem gut vertaut sind, und es dann nicht so schwierig sein sollte, sich über die eigentliche tiefere Bedeutung der Geschichte richtig klar zu werden. Leider muss jedoch hinzugefügt werden, dass es trotzdem sehr schwierig ist, den Sinn der Erzählung zu verstehen. Wahrscheinlich weil es immer schwierig ist, bewusst über Sachen (hier: Sprache) zu sprechen, die im Leben als sog. Automatismen wirken, und keiner Beeinflussung äusserlicher Faktoren unterworfen sind.


6. Wie Kommunikation für Bloch nach dem Mord funktioniert.

Bloch wird keineswegs von seinen Kommunikationsproblemen befreit, nachdem er die Kassiererin umgebracht hat. Vielmehr scheint es, dass seine Psychosen nur in einem noch schnelleren Tempo eskalieren. Er beginnt, sich immer mehr an den Redegewohnheiten der Mitmenschen zu stören. Es fängt schon im Bus, auf dem Weg zum Grenzort, wieder an. Bloch stört es, mit den Leuten zu sprechen, unterhält sich aber ganz wehrlos ein wenig mit einer Frau (siehe S. 27). Hier ist noch ein Beispiel, dass Bloch die Distanz zu seinen Mitmenschen haben muss:

„Je weiter entfernt sie sassen, desto angenehmer war es, sie anzuschauen.“ (S. 28).

Dieses distanzierte Verhalten wird sicherlich durch sein schlechtes Gewissen verstärkt. Es darf nicht vergessen werden, dass Bloch auf der Flucht eines Verbrechens ist, und sich deshalb ein wenig extra misstrauisch den Mitmenschen gegenüber stellt.
An dieser Stelle im Buch treten viele derartigen Situationen zum Vorschein, wo Bloch sich durch die Leute irritiert fühlt, ja es ekelt ihn sogar, sie anzuschauen:

„Bloch, dem diese Beobachtungen zuwider wurden, fuhr sich mit der Hand über den Mund. Statt einfach wegzuschauen!“ (S. 28)

Es ist interessant zu notieren, dass Bloch, trotz seiner Abscheu vor den Vorgängen in seiner Umgebung, nicht einfach von diesen störenden Faktoren wegschaut, sondern vielmehr diese, wenn man es so nennen darf, Folterung „aushält“, und sich stattdessen nur kurz mit der Hand über den Mund fährt! Es muss also doch etwas in ihm geben, das ihn genau so menschlich, und ihn genau so abhängig von den alltäglichen Kommunikationsprozessen, wie andere Menschen macht. Obwohl er sich an den Vorgängen stört, ohne zu wissen warum, will er sie auch studieren, vielleicht um herausfinden zu können, was denn auf ihn so störend wirkt.
Je näher Bloch an den Grenzort kommt und je länger er sich dort aufhält, umso mehr eskaliert seine „Wahrnehmungskrankheit“ (d.h. umso verstörter wird seine Wahrnehmung und umso stärker wird sein schlechtes Gewissen.). So bildet er sich ein, als er drinnen in seinem Zimmer im Gasthof des Dorfes plötzlich aus dem Schlaf wieder erwacht, er sei durch das Umfalten einer Zeitung aufgeschreckt worden! Allmählich fängt er an, sich einzubilden, jedem kleinen Ereignis unterliege eine tiefere Bedeutung. Jetzt fangen die Gegenstände sogar zu ihm zu sprechen an. Es kann seiner Meinung nach kein Zufall sein, dass er zweimal am selben Tag mit einem Blitzableiter konfrontiert wird, und dass die Kekse, die am Tisch in der Gaststätte liegen, die Form von Fischen haben. Sagt ihm vielleicht die Form der Kekse, dass er „stumm wie ein Fisch“ bleiben soll? Diese Suche nach der tieferen Bedeutung der Vorgänge treibt ihn sogar zu dem Glauben, dass es kein Zufall sei, dass er vor dem Haus des Gutsbesitzers einem Pförtner mit einem Schlüssel begegnet. Weiter beobachtet Bloch an sich selbst die Zwangsidee, zu jedem Gegenstand das Wort dazuzudenken:

„Jedem Ansichtigwerden eines Gegenstands folgte sofort das Wort nach.“ (S.52).

Um von diesem ungemütlichen Zwang freizukommen, versucht Bloch stattdessen, den Preis aller Gegenstände in der Umgebung herauszufinden. Er tauscht also die Bezeichnung aus, in der Hoffnung, zu einer neuen und allgemeingültigen Bedeutung zu kommen. Diese „Idee“ erhielt Bloch, als sich eines Morgens in der Wirtsstube ein Steuerbeamter befand, der sich die Preise der Gegenstände im Raum sagen liess. Zugegeben, dieses Vorhaben verhindert auf jeden Fall den Zwang, zu jedem Gegenstand das Wort dazuzudenken, andererseits scheint es aber, dass das Problem Blochs nur in eine andere Richtung projiziert wird, indem er nun statt des Wortes den Preis des Gegenstands wissen muss, um den Gegenstand richtig wahrnehmen zu können. Man soll sich aber nun sehr wohl dessen bewusst sein, dass der Grund dafür, dass Bloch sich solche, in unseren Augen unsinnigen, Sachen vornimmt, der ist, dass er sehr verstört und unschlüssig ist. Er weiss nicht mehr, ob er sich dessen jemals bewusst war, wie Gegenstände und Vorgänge wahrzunehmen sind, und deshalb probiert er verschiedene Weisen aus, u.a. diese Wahrnehmnung des Gegenstands durch den Preis. Und tatsächlich ist ja dieser Prozess eine Art Neuanfang in bezug auf Sprache, auch wenn nicht ganz durchgedacht. Tatsache ist, dass er auch allmählich auf Probleme stösst, in seiner Sucht, von allem den Preis erfahren zu müssen. So wird er unruhig, als z.B. ein Preisschild in einem Schaufenster umgefallen ist, und es stört ihn über die Massen, als in einem anderen Schaufenster ein Kleid über einem Schaukelstuhl hängt und nebenan auf dem Stuhl ein Preisschild liegt. Bloch wird unschlüssig, ob mit dem Preis auf dem Schild das Kleid oder der Stuhl gemeint ist. In Wirklichkeit gehörte tatsächlich der Preis dem Kleid, und es würde in unserer Gesellschaft niemals etwas anderes behauptet werden können, da alle Menschen sich unbewusst darüber geeinigt haben, in einer solchen Situation wie der oben genannten, den Preis mit dem Kleid in Verbindung zu bringen. Wenn tatsächlich mit dem Preis der Stuhl gemeint gewesen wäre, dann wäre wahrscheinlich das Kleid nie darüber gehängt worden, weil es dann keine Funktion zu erfüllen gehabt hätte. In unserer Gesellschaft haben alle Gegenstände und alle Vorgänge eine besondere Funktion, und es wird niemals etwas hergestellt werden können, das keine eigene gesellschaftliche Funktion besitzt. Das Geld und der Profit stehen über dem wahren Empfinden.
Als Bloch dann im Café den Wirt über die Preise der verschiedenen Gegenstände ausfragt, kann ihm der Wirt nicht Bescheid sagen. Bloch wird noch mal unruhig, und es stellt sich heraus, dass er jetzt keinen Gegenstand richtig wahrnehmen kann, dessen Wert ihm nicht bekannt ist. Diese Wahrnehmungsmethode schliesst Gegenstände ohne Handelswert völlig aus, und diese Tatsache wird auch dem sehr unschlüssigen Bloch ganz klar, nachdem er sich beim Wirt über den möglichen Wert eines ganz gewöhnlichen Steines erkündigt hat. Er kehrt dann wieder zur wörtlichen Wahrnehmung zurück, um wieder darin seinen beabsichtigten Neuanfang der Sprache zu erstreben.
Er begegnet zwei Friseurmädchen, die offenbar zivil verkleidete Polizistinnen sind (wie sonst ist es auszulegen, dass sie ihm ihre Ausweise zeigen?), und unterhält sich (Bloch ist jetzt merkbar nervös) ein wenig mit ihnen. An dieser Stelle wird noch mal auf die Sprechgewohnheiten der Menschen eingegangen:

„Bloch bemerkte, dass jedesmal, wenn er etwas erwähnte und davon erzählte, die beiden mit einer Geschichte antworteten, die sie selber mit dem erwähnten oder einem ähnlichen Gegenstand erlebt hatten oder die sie jedenfalls vom Hörensagen von dem Gegenstand wussten.“ (S. 58).

Das, worauf Bloch hier aufmerksam wird, ist ein keineswegs eigenartiger, sondern ein ganz natürlicher Trieb des „normalen“ Menschen. Es gibt in unserer Zeit eine Gewohnheit, sich Sachen und besondere Situationen nur dann vorstellen zu können, wenn sie mit einer anderen schon erlebten Situation oder Sache verglichen wird. Dieses Vorkomnis ist den Menschen so natürlich geworden, dass darüber nicht einmal reflektiert wird. Bloch allerdings, der andererseits ganz bewusst auf solche Automatismen reagiert, wird über die Massen konfus, als er, mit anderen Leuten sprechend, auf diese Gewohnheit stösst. Durch Bloch hat Handke auf diese merkwürdige Gewohnheit der Menschen der modernen Gesellschaft aufmerksam machen wollen.
Ausserdem bemerkt Bloch an den beiden
Friseurmädchen die Gewohnheit, mit ihm über Dinge oder ihnen bekannte Personen zu reden, ohne ihm dabei eine Erklärung zu geben, von wem es eigentlich handelt. Also erwarten die beiden Friseurmädchen von ihm, dass er in derselben Weise funktioniert, wie damals die Kinokassiererin; d.h. bewusst über Sachen zu sprechen, die man erstens nicht kennt und einem zweitens nicht näher vorgestellt wird. Dass Bloch jetzt unheimlich unschlüssig ist, kann sehr gut verstanden werden. Er hat einen Menschen aufgrund dieser Ignoranz umgebracht, und jetzt wird von ihm erwartet, dass er sich in der gleichen Weise wie sein Opfer benehmen sollte!
Bloch unterliegt andererseits einer übertriebenen Sucht, alles ganz und in allen Einzelheiten zu erklären. Er übertreibt diese Erklärungssucht in solchem Ausmass, dass er seine ZuhörerInnen zu langweilen beginnt. Es muss auch hinzugefügt werden, dass in Situationen wie den oben genannten öfters gar keine weitere Erklärung nötig ist. Es muss der Zuhörer sich nicht über alles im Klaren sein, um den Sinn der Erzählung zu verstehen. Für Bloch andererseits funktioniert die Kommunikation überhaupt nicht, wenn er glaubt, ein Wort in der Erzählung bräuchte eine weitere Erklärung. Er kann nur Einzelheiten wahrnehmen, und gar keine ganzen Geschichten, wenn er immer wieder selber dieser Erklärungssucht unterworfen ist und keine Erklärung von seinem Gegenüber angeboten wird. Allmählich, um die Erzählung der Mädchen ganz verstehen zu können, fängt Bloch aber an zu fragen (und riskiert somit, ihre Angelegenheiten zu den seinen zu machen!), und bekommt dann ganz einfach Antworten dazu. So kann er alles wieder ruhig wahrnehmen, weil er einen Teil seines distanzierten Verhaltens und einen Teil seiner Kommunikationsprobleme damit überwunden hat. Dieser Zustand hält aber nicht besonders lange an.
Es scheint, dass Bloch, wenn er sich an angelernte Gewohnheiten hält, von seinen Problemen in Ruhe gelassen wird. Diese Erklärung kann man für die ganze Erzählung gelten lassen: Vielleicht hatte Bloch deshalb so auf das Ignorieren durch seine Arbeitskollegen reagiert, weil er am jeden zuvorgehenden Tag beim Eintreten in die Bauhütte begrüsst worden war. Als sich dann etwas an den gewohnten Vorgängen änderte, wusste Bloch nicht, was er tun sollte, und er missverstand das ganze Geschehen. Als er sich aber ausschliesslich immer wieder jeden Tag dasselbe vornahm, konnte er alles ruhig wahrnehmen und brauchte keine...

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  • Inactive member 2008-05-23

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Inactive member [2006-07-30]   Die Angst des Tormanns beim Elfmeter - zum Problem der Sprache.
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